Inhaltsbereich
Stolpersteine in Grimma
Seit dem Jahr 2009 erinnern in Grimma sogenannte "Stolpersteine" an Bürgerinnen und Bürger, die im Dritten Reich deportiert und ermordet oder zur Flucht aus Deutschland gezwungen waren. Die Stolpersteine sind kleine Messingquader, in die jeweils der Name, die Lebensdaten und das Schicksal eingraviert sind, die dem Nationalsozialismus zum Opfer fielen. Die Steine werden stets vor dem letzten - frei gewählten - Wohnhaus in den Bürgersteig eingelassen. www.stolpersteine.eu
Brückenstraße 23
- Lippmann Urbach: 1900 – 1938 (Sachsenhausen/1943 Auschwitz)
- Siesel Urbach, geb. Besser: 1852 – 1942 (Auschwitz)
- Ehrhard Urbach: 1930 - 1942 (Auschwitz)
Verlegung 20. August 2009
Familie Urbach
- Lipmann Urbach, Klempner und Textilhändler aus Lodz
- Siesel Urbach, geb. Besser
- Seit 1924 wohnhaft in Grimma, zuerst Untermiete bei Fam. Strauß, Klosterstr.8a
- Zahlreiche Verwandte in Colditz, Leisnig, Leipzig
- 23.4.25 Sohn Philip
- 28.9.30 Sohn Erhard geboren, beide Schüler der Wallgrabenschule
- 1925-30 Laden am Markt
- 1928-39 „Modemagazin“ in der Brückenstraße
- 1938 kurze Schutzhaft des Vaters
- 1939 erneutes Abholen, per Lastauto ins KZ Sachsenhausen gebracht worden
- Philip Urbach, der vermutlich 2005 in London verstarb erinnerte sich1988:
„Mit dem letzten Kindertransport kam ich aus Deutschland fort. Wir waren 61 jüdische Kinder, die am 31.August 1939 16.45 Uhr bei Kleve die holländische Grenze überschritten. Genau 12 Stunden später erfolgte der deutsche Überfall auf Polen...“
- Hochachtungsvoll sprach Philip Urbach von den Arbeiterfamilien Emil Schulze und Emil Strauß, die die Familie bis zuletzt unterstützten
„Damals erforderte das großen Mut- und nur wenige brachten ihn auf.“
- 1939 Geschäft zwangsweise aufgelöst
- 26.6.42 verließen Siesel und Erhard als letzte grimmaer Juden die Stadt, zunächst hach Leipzig, ins „Judenhaus
- 13.7.42 Deportation mit 170 Menschen nach Auschwitz
- 25.1.43 Lipmann im KZ Auschwitz „verstorben“, wie ein Londoner Rechtsanwalt ermittelte
Familie Urbach
Lipmann Urbach, ein gelernter Klempner und später Textilhändler, stammte ursprünglich aus Lodz. Mit seiner Frau Siesel Urbach, geb. Besser, war er seit 1924 in Grimma ansässig, zuerst zur Untermiete bei Familie Strauß in der Klosterstraße 8a. Die Urbachs hatten zahlreiche Verwandte in Colditz, Leisnig und Leipzig. Am 23. April 1925 wurde Sohn Philip, am 28. September 1930 Sohn Erhard geboren. Beide wurden später in die Wallgrabenschule eingeschult. Die Urbachs betrieben von 1925 bis 1930 ein Ladengeschäft am Markt und von 1928 bis 1939 das „Modemagazin“ in der Brückenstraße 23. 1938 wurde Lipmann Urbach das erste Mal in kurze Schutzhaft genommen. Ein Jahr später wurde er erneut abgeholt und per Lastauto ins KZ Sachsenhausen gebracht. Den Ermittlungen eines Londoner Rechtsanwaltes zufolge starb Lipmann Urbach am 25. Januar 1943 im KZ Auschwitz. Philip Urbach, der als einziger der Grimmaer Urbachs den Holocaust überlebte, erinnerte sich 1988: „Mit dem letzten Kindertransport kam ich aus Deutschland fort. Wir waren 61 jüdische Kinder, die am 31. August 1939 16.45 Uhr bei Kleve die holländische Grenze überschritten. Genau 12 Stunden später erfolgte der deutsche Überfall auf Polen...“ Hochachtungsvoll sprach Philip Urbach von den Arbeiterfamilien Emil Schulze und Emil Strauß, die die Familie bis zuletzt unterstützten: „Damals erforderte das großen Mut – und nur wenige brachten ihn auf.“ 1939 wurde das Geschäft zwangsweise aufgelöst. Am 26. Juni 1942 verließen Siesel und Erhard als letzte der grimmaer Juden die Stadt, zunächst nach Leipzig in das dortige „Judenhaus“. Am 13. Juli 1942 wurden sie zusammen mit 170 weiteren Juden nach Auschwitz deportiert.
Lange Straße 58/60
Bernhard Motulsky: 1873 – 1942 (Theresienstadt) Margarethe Heimann, geb. Motulsky: 1903 – 1935 (nach Frankreich emigriert/1942 in Auschwitz ermordet) Curt Heimann: 1899 – 1935 (nach Frankreich emigriert/1942 in Auschwitz ermordet)
Verlegung 20. August 2009
Familie Motulsky
Bernhard Motulsky und seine Frau Henriette stammten aus Ostpreußen. Sie zogen nach Grimma und begründten hier vor Beginn des Ersten Weltkriegs ein gut geführtes Textilkaufhaus. Ein Zeitzeuge berichtete:
„Da war einfach nur der nette Herr Motulsky, der für uns Kinder immer ein kleines Spielzeug als Zugabe bereithielt, wenn wir die Eltern beim Einkauf begleiteten.“ Fachkenntnis, Fleiß und Freundlichkeit ermöglichten die Weiterentwicklung des Geschäftes, das 1927 sieben Verkäuferinnen, zwei Lehrmädchen und einen Dekorateur beschäftigte.
Bernhard und Henriette Motulsky lebten mit ihren Kindern Margarete und Heinz als „normale“ deutsche Familie. Wie alte Fotografien zeigen fühlten sie sich als anerkannte Bürger von Grimma.
Der nationalsozialistische Terror begann für die Familie im April 1933 mit einem Boykott des Geschäftes durch SA-Leute. Die Auswirkungen der Nürnberger Gesetze führten zur Aufgabe des Warenhauses und zu ständig zunehmenden Einschränkungen des privaten Lebens. 1935 verstarb Henriette Motulsky. Sohn und Tochter emigrierten im Frühjahr desselben Jahres nach Frankreich.
Berhard Motulsky lebte ab 1935 zur Untermiete in Grimma und dann im israelitischen Altersheim in Leipzig. 1942 wurde er nach Theresienstadt deportiert. Infamerweise mußte er seine Deportation aufgrund eines Zwangsvertrages mit seinen restlichen Ersparnissen vorfinanzieren. Das sollte ihm angeblich die Betreuung auf Lebenszeit sichern. Er überlebte die Deportation nur wenige Wochen. Bernhard Motulsky starb am 4. Oktober 1942 in Theresienstadt.
Margarethe Motulsky, inzwischen verheiratet, wurde ebenso wie ihr Vater Opfer der nationalsozialistischen Vernichtung. Sie wurde mit ihrem Ehemann Richtung Osten deportiert, ohne Wiederkehr, verschollen...
Friedrich-Oettler-Straße 20
- Paul Nickusch: 1889 – 1942 (Ghetto Belzyce bei Lublin/Polen)
- Rosalia Nickusch: 1888 - 1942 (Belzyce)
- Fritz Nickusch: 1921 - 1942 (Belzyce)
- Lieselotte Nickusch: 1923 - 1942 (Belzyce)
- Walter Nickusch: 1926 – 1942 (Belzyce) (Auch Nikusch, Paul-Nikusch-Straße)
Verlegung 20. August 2009
Familie Nikusch
Paul Nikusch wurde als Sohn eines deutsch-jüdischen Händlers 1883 in Dresden geboren. Den gelernten Schlosser verschlug es nach dem Ersten Weltkrieg nach Grimma, da er in der Maschinenbau AG Golzern-Grimma eine passende Arbeitsstelle gefunden hatte. Im Juli 1920 heiratete Nikusch die aus Schlesien stammende Rosalia Gross. Laut Heiratsurkunde war Paul Nikusch evangelisch-lutherischer Konfession, Rosalia hingegen jüdischen Glaubens. Ihre drei Kinder Fritz, geboren 1921, Lieselotte, geboren 1923, und Walter, geboren 1926, wurden in Grimma evangelisch-lutherisch getauft.
Die Familie erlebte den nationalsozialistischen Terror in Gänze: die Einschränkungen des alltäglichen Lebens, die Stigmatisierung und Demütigung der jüdischen Bürger bis zur Gefährung von Leib und Leben durch die Deportation. Doch sie erfuhren auch stille Hilfe: Einige Arbeitskollegen und Bekannte unterstützten die Familie auch in dieser schweren Zeit.
Die Familie Nikusch wurde zusammen mit Familie Glaser, der Witwe Moses und Albert Michel am 8. Mai 1942 nach Leipzig gebracht und von dort am 10. Mai in das Vernichtungslager Belzyce deportiert. Die Deportationen wurde zumindest anfangs noch als Evakuierungen in den Osten, als Möglichkeit eines Neuanfangs deklariert. Paul Nikusch zweifelte an dieser Darstellung und vertraute seine Gedanken einem Arbeitskollegen an: „Man wird uns im Lager verhungern lassen oder den Schädel einschlagen...“
Frieden zu finden, Gott, das wäre gut! Doch es ist unruhig in mir. Zweifel quälen, bohrende Fragen bedrängen mich. Meine Gedanken drehen sich und finden kein Ende. So Vieles stürzt auf mich ein, raubt mir den Frieden. Wie kann ich ihn finden, diesen Frieden, den Du versprichst? Wie komme ich zu der Gelassenheit, aus der ich Ruhe finde? Gott, ich allein kann es nicht, Du musst mir dabei helfen. Stärke meinen Glauben und festige mein aufgewühltes Herz. Lass in mir solch ein Vertrauen wachsen, das sich zu allen Zeiten auf Dich verlässt. Und dann schließe diesen Frieden in meiner Seele ein. Amen.
Marktgasse 5
- Max Moses: 1878 – 1938 (Sachsenhausen)
- Hulda Moses, geb. Lewin: 1884 – 1942 (Belzyce)
- Irma Glaser, geb. Moses: 1911 - 1942 (Belzyce)
- Markus Glaser: 1907 – 1942 (Belzyce)
- Erika Glaser: 1938 – 1942 (Belzyce)
Verlegung 05. Juni 2010
Familie Moses und Familie Glaser
Mit dem Haus Hohnstädter Straße 4 ist die jüdische Familie Moses verbunden. Hier befand sich ehemals das Konfektions- und Schuhwaren-Haus von Max Moses, später erweitert um ein Sortiment an Tabakwaren. Mit seiner Frau Hulda lebte Max Moses unweit von hier in der Marktgasse 5. Die beiden hatten einen Sohn Gerhard, der 13-jährig verstarb, und eine Tochter Irma. Irma heiratete später Markus Glaser, mit dem sie eine Tochter Erika hatte. Seine Enkeltochter konnte Max Moses nur wenige Wochen aufwachsen sehen, sie war fünf Monate alt, als er für immer in der Maschinerie der Konzentrationslager verschwand. Aus der Polizeiakte von Max Moses: „Krimineller Lebenslauf des Händlers Moses, Max; geboren 16. März 1878 in Stargard in Pommern, wohnhaft in Grimma i. Sa., Marktgasse 5; mosaisch. Moses ist deutscher Staatsangehöriger und Volljude. Moses wurde im Elternhaus erzogen. Er besuchte bis 1893 die Volksschule. Anschließend lernte er drei Jahre als Verkäufer in Nörenberg in Pommern bei der Firma Paul Hirsch. Seit 1908 ist er als selbständiger Kaufmann in Grimma tätig und betreibt dort ein Geschäft mit Tabakwaren (früher Konfektion und Schuhwaren). Von 1915-1918 war er Soldat. Im Feldzug hat er an verschiendenen Fronten 1916-1917 teilgenommen. Ausgezeichnet wurde er mit dem EKII. Am 23. Februar 1938 erhielt er vom Sondergericht in Freiberg wegen staatsfeindlicher Äußerungen eine Strafe von sechs Monaten Gefängnis. Diese Strafe wurde ihm durch Amnestie vom 30. April 1938 erlassen. Max Moses ist laut ärztlichem Gutachten für leichte Arbeit lager- und transportfähig. Aufgrund einer Sonderaktion gegen vorbestrafte Juden wurde Moses am 16. Juni 1938 festgenommen und am 17. Juni 1938 nach dem Konzentrationslager Sachsenhausen in polizeilicher Vorbeugehaft überführt.“ Max Moses sah seine Familie und seine Heimatstadt nie wieder. Er starb knapp sieben Wochen später im Lager. Am 8. Mai 1942 mussten auch Hulda Moses mit Tochter Irma, Schwiegersohn Markus Glaser und der nun vierjährigen Erika Grimma verlassen. Zusammen mit Familie Nikusch und Albert Michel wurden sie nach Leipzig gebracht und von dort in das Konzentrationslager Belzyce deportiert.
Grimmaer Wiesenstraße 33
- Albert Michel: 1898 – 1942 (Belzyce)
Verlegung 05. Juni 2010
Albert Michel
Albert Michel stammte aus Ahrenberg in der Rheinprovinz, nahe Koblenz. Er wurde 1898 geboren, kam in den zwanziger Jahren nach Grimma und arbeitete hier im Kohlenhandel und als Ziegeleiarbeiter. Michel hatte dem jüdischen Glauben den Rücken gekehrt und sympathisierte mit der KPD. 1932 heiratete er eine Grimmaerin, die sich aber 1941 aus „rassischen“ Gründen wieder scheiden ließ.
Albert Michel wurde am 8. Mai 1942 zusammen mit Familie Nikusch, Hulda Moses und Familie Glaser nach Leipzig gebracht und von da am 10. Mai 1942 in das Konzentrationslager Belzyce deportiert.
Karl-Marx-Straße 25
- Tauba Schorr: 1889 – verschollen 1938 in Polen
Verlegung 6. Mai 2016
Tauba Schorr wurde unter anderem im Rahmen der sogenannten Polen-Aktion zunächst am 27. Oktober 1938 in das Leipziger Untersuchungsgefängnis inhaftiert, bevor sie einen Tag später mit einem Sammeltransporter an die polnische Grenze deportiert wurde.
Buchtipp: Juden in einer kleinen Stadt: Illustrierte Texte zur Stadtgeschichte von Grimma/Sachsen
Eine jüdische Gemeinde im mittelalterlichen Grimma (Jüdengasse) ist wohl wie auch anderwärts Mitte des 14. Jahrhunderts der „Volkswuth“ zum Opfer gefallen. Erst seit dem 19. Jahrhundert wurden erneut jüdische Familien und Unternehmer in der Muldestadt ansässig, als fraglos bedeutendster unter ihnen der Journalist und Verleger Dr. Carl Ferdinand Philippi, ein Enkel des aus Schlesien nach Leipzig gekommenen kurfürstlichen „Schutzjuden“ und Messesteuer-Einnehmers Herz Loeb Levi. Im Jahre 1933 sind es an die drei Dutzend Juden, Erwachsene wie Kinder, die wieder in Grimma leben. Wer weiß heute noch etwas von ihnen und ihren Schicksalen?
Erhältlich in der Stadtinformation.
Erschienen 2005 im Sax-Verlag, Autor Gerhardt Gimpel, ergänzender Nachtrag aus dem Jahr 2010.
Karte
Ansprechpartner
- Ev. - Luth. Kirchgemeinde Grimma, Mühlstraße 15, 04668 Grimma