© Manfred LohseDer 14. September ist ein besonderer Tag in der Geschichte der Grimmaer Fürsten- und Landesschule, des heutigen Gymnasiums St. Augustin. Nach den beiden Schulen Schulpforta und St. Afra in Meißen im Jahre 1543 war 1550 die Schule in Grimma als dritte kurfürstliche Landesschule von Kurfürst Moritz gegründet und am 14. September eingeweiht worden. Dieser Tag gilt als Gründungstag und wird
seit 1596 als Stiftungsfest gefeiert.
An diesen drei Eliteschulen, den ältesten staatlichen Bildungseinrichtungen in Deutschland, erhielten begabte Knaben aus allen Volksschichten in sechs Jahren eine hervorragende Allgemeinbildung samt Gemeinschaftserziehung im Internat, um da- nach an einer Universität zu höheren Staats- und Kirchenbeamten, zu Juristen, Pädagogen, Theologen und Wissenschaftlern ausgebildet zu werden. Am Ufer der Mulde gelegen, wurde die Grimmaer Schule auch Moldanum genannt; der Beiname St. Augustin kam erst im 19. Jahrhundert schulintern, aber nicht offiziell auf, gebräuchlich wurde er im 20. Jahrhundert, und seit 1992 trägt das Gymnasium den Namen St. Augustin.
Das Schulfest hatte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts den gleichen Ablauf. Dem Festgottesdienst folgten die lateinische Rede des Rektors und die Dankesrede eines Schülers. Beendet wurde die Feier mit Gebet und Gesang. Ein Festmahl für Schüler und Lehrer schloss sich an. Ab 1820 gab es am Nachmittag auch ein Konzert auf der Gattersburg und am Abend einen Schulball im Ratskeller. Ehemaligen Schülern bot das Fest eine Gelegenheit, sich zu treffen, um Erinnerungen, Erfahrungen und Gedanken auszutauschen. An einem solchen Treffen im Jahre 1824 nahm vermutlich auch ein ehemaliger Schüler teil, der zu diesem Anlass ein längeres Gedicht geschrieben hat, das er an das „Grimmaische Wochenblatt“ schickte, wo es in Nr. 39 vom 25. September 1824 ohne Namen des Verfassers, nur mit dem Vermerk „Eingesandt“ abgedruckt wurde. Es trägt den Titel „Gefühle am Schulfeste den 14ten September 1824“ und hat elf Strophen zu je acht Zeilen. Die Strophenform mit dem Reimschema ab ab ab cc heißt Stanze, stammt aus dem Italienischen und wird besonders für feierliche Inhalte und für Gedichte der Selbst- und Rückbesinnung verwendet.
Die eingangs des Gedichtes anschaulich geschilderte Herbststimmung des Monats September bewirkt,
„daß gleich den Blätterranken an den Reben / In meiner Brust sich holde Bilder weben.“ Es sind Bilder aus seiner „goldenen Kinderzeit“, aus seinen „Blüthenjahren“ in der Schule, die er sich trotz mancher bittrer Klage bewahren will. Mit den Zeilen „Nun wohl, so kommt Gestalten froher Tage,/Steigt freundlich auf aus der Vergangenheit“ ruft er sich die Freunde und Gefährten ins Gedächtnis zurück, mit denen er die Schulzeit in „Grimmas Thälern“ und „an der Mulde kühlem Uferrande“ verbrachte, wo, „an dem Gängelbande“ der Schule geleitet, der „Zukunft Tage“ noch unbekannt vor ihm lagen. Die Knospen an dem „jungen Lebensbaum“ waren „noch verschlossen“, und „kein wilder Strom“ bewegte sein Leben. In der schönen Umgebung mit Fluss und Wäldern und in der Gemeinschaft der Mitschüler im Internat fühlte er sich geborgen, zumal auch die Religion damals den Tagesablauf mitbestimmte und die Weltanschauung und die Gefühlswelt der Schüler stark beeinflusste. Samstags zog man mit Glockengeläut „in der brüderlich vereinten Menge“ „durch des Kreuzgangs hochgewölbte Gänge“ zum Gottesdienst in die Klosterkirche. Es waren „himmelvolle Stunden“, wenn die Seele „in Gebet zerfloß“ und alles, was man empfand, sich „fest an Gott, Natur und Himmel schloß!“ Es blieben auch in der Erinnerung „ewig seelige Gefühle“ die er in zwei Strophen überschwänglich beschreibt. Dagegen widmet der Dichter dem Unterricht und den Lehrern keine Zeile. Abrupt erfolgt der Übergang von der Schule in den „Sturm der Welt“ und den Ernst des Lebens, wo die „sanften Wellen“ der Schulzeit sich plötzlich zu Wogen türmten und er erkennen muss: „Was einst das Herz durch Hoffnung einge- sogen,/Die Wirklichkeit hat manches nicht erfüllt.“ Aber er spricht sich Mut zu für die Fahrt ins Leben, wenn er auch mit wehmütigen und zugleich anerkennenden Worten Abschied von der Schule an der Mulde nimmt: „Und scheid‘ ich trauernd auch von den Gestaden; / Begleitet mich die Thräne auch zum Port! / Eins bleibt bey mir, eins wird auf allen Pfaden / Ein Stern mir seyn auch an dem fernen Ort! / Und was es ist – ob Sehnsucht, Schmerz, ob Freude? / Genug; mir giebt es inniges Geleite.“ In den letzten drei Strophen wendet sich der Verfasser wieder an die Freunde und sagt allen, den bekannten und unbekannten, Lebewohl: „Stets werd ich Euer Bild im Herzen tragen / Und gern geden- ken an die alte Zeit.“ Zum Schluss betont er noch- mals, dass die Freude des Wiedersehens und der Schmerz des Abschieds sein Herz durchdringen. Mag man das Gedicht heute auch als übertrieben gefühlvoll oder pathetisch empfinden - es entstand schließlich in der Zeit der Romantik -, so sollte man es aber als Ausdruck der Anhänglichkeit eines ehemaligen Schülers an seine berühmte
Schule in Grimma und an die Gefährten seiner Schulzeit ansehen.
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