Eine Pandemie erschüttert die Gesellschaft und hat damit auch beträchtliche Auswirkungen auf das Schulsystem, auf Schüler, Lehrer und Eltern. Mediale Splitter wie die folgenden sind Zeichen dieser Krise: „unterrichtsfreie Zeit“, „konsequente Schließung“, „Corona-Chaos an Schulen“, „Eltern am Ende ihrer Kraft“, „Verkürzung der Sommerferien“, „Notabitur“, „schrittweise Öffnung“, „Ich kenne meine Schüler jetzt im Schlafanzug“ usw. Oft hilft bei aller Dringlichkeit der aktuellen Probleme ein Blick in die Vergangenheit, um zu relativieren oder einzuordnen. So schaut das Gymnasium St. Augustin zu Grimma in diesem Jahr auf 470 Jahre Schulgeschichte zurück. Gab es in diesen Jahrhunderten über längere Zeit Schließungen, da doch regelmäßige Ferien erst im neunzehnten Jahrhundert eingeführt wurden? Die Frage ist eine rhetorische, denn die Zeiten waren unsicher, mit Kriegen und Seuchen musste gerechnet werden, Hochwasser und daraus folgende bauliche Probleme gehörten bei der Lage der Schule zum Alltag. So bestand – aus unterschiedlichen Gründen – immer wieder die Gefahr, dass die Schultüren geschlossen wurden und die Schüler, die zum größten Teil in der Schule wohnten, die Stadt verlassen mussten. Auf einige Beispiele von Schulschließungen wird im Folgenden eingegangen.
Kriege
Knapp siebzig Jahre nach der Eröffnung der Grimmaer Fürstenschule brach ein europäischer Krieg aus, der 30 Jahre dauern sollte und der in seinen Auswirkungen keine der drei kurfürstlichen Schulen verschonte. Grimma blieb zwar bis 1631 von direkten Kriegsereignissen verschont, im September des Jahres führte aber schon die Annäherung kaiserlicher Truppen und die Einnahme Leipzigs durch sie zur Flucht der Schüler und Schließung der Schule bis zum Jahresende. Am 19. Oktober 1632 nahm Feldherr Wallenstein für einen Tag und eine Nacht in der Schule Quartier. Die Schüler waren zuvor zum Teil geflohen oder wurden bei Ankunft des Heerführers vertrieben. Weil der kurze Aufenthalt die Schule alles in allem 8.000 Taler gekostet hatte, konnte sie erst im April 1633 wieder geöffnet werden. Anwesend waren zu diesem Zeitpunkt 12 Schüler!
Rund 300 Jahre später wurde auch die Grimmaer Fürstenschule Opfer des Zweiten Weltkrieges: Viele ihrer ehemaligen Schüler waren gefallen – die letzte Nummer der Schulzeitschrift „Augustiner Blätter“ bestand nur aus Todesanzeigen – und ganze Klassen waren zum Einsatz als Luftwaffenhelfer abkommandiert worden. Gegen Ende des Krieges war das Gebäude überfüllt, der Thomanerchor hatte hier Asyl gefunden, Klassen einer Lehrerbildungsanstalt waren einquartiert und in der ehemaligen Bibliothek arbeitete ein Konstruktionsbüro von Siemens. Dazu kam ein eklatanter Kohlenmangel, so dass die Internatsschüler nach Hause geschickt werden mussten. Sogenannte „Kohleferien“ hatte es auch schon 1940 gegeben: Lehrer und Schüler tauschten sich Aufgaben und Lösungen mit der Post aus. Das Ende des Unterrichts kam mit dem Flüchtlingsstrom aus dem Osten, für den die Schule Auffanglager war. Die Unterrichtsräume wurden geleert, der kleine Festsaal war Ambulatorium – hier sollen in jenen Wochen sogar Zwillinge geboren worden sein. In Erinnerungen ist von weit mehr als 1.000 Einquartierten die Rede. Seit Ende März/ Anfang April fiel aller Unterricht aus. Wiedereröffnung war am 1. Oktober 1945.
Krankheiten
Seuchen, wie zum Beispiel die Pest, begleiteten das Leben von Schülern und Lehrern unserer Schule vor allem im 16. und im 17. Jahrhundert. Auffällig ist dabei, dass ein hoher Krankenstand und eine hohe Sterberate in Grimma sich nicht unbedingt auch in der Schule finden mussten. So sollen 1550/51 in Grimma nahezu 50 Prozent der Einwohner gestorben sein, während in der Schule nicht ein einziger Schüler erkrankte. Die Isolierung, typisch für die neuen Schulen, schien sich also schon damals zu lohnen. Als freilich 1566 die Pest in Grimma und im Umland wütete, wurden vom Rektor Adam Silber 66 Schüler heimgeschickt. 17 Jungen zogen mit ihren Lehrern nach Nimbschen (offensichtlich ins Schulgut), wo zwei von ihnen starben. Daraufhin wurde die Schule von August 1566 bis April 1567 geschlossen. Dem Rektor Siber und seiner Frau, die in der heutigen Luise-Urbaniak-Straße wohnten, starben durch diese Seuche in zehn Monaten fünf ihrer Kinder. Kürzere Schulschließungen gab es auch in den folgenden Jahrzehnten (Pest) und Jahrhunderten (Typhus und Grippe). Es sei noch auf ein Beispiel aus neuerer Zeit eingegangen. Im Protokollbuch des Internats, das von Schülern geführt wurde, lesen wir unter dem 24. März 1952: „Das Jungen-Passi ist seit einigen Tagen voll besetzt.“ Mit dem schülersprachlichen Wort „Passi“, das aus dem Lateinischen abgeleitet ist, war das Krankenrevier des Schulinternats gemeint. Einen Tag später folgt: „Heute wurde auch das 4. Bett des Mädchen-Passi belegt, so dass jetzt niemand mehr erkranken darf.“ Als wenige Tage später die Medikamente knapp waren und weitere Zimmer als Krankenzimmer eingerichtet werden mussten, erfolgte die Weisung zur Schließung der Schule ab 2. April, 12 Uhr. Am 21. April wurde wieder geöffnet. Dazwischen lagen auch die Osterferien, so dass die Schule wegen der ausgebrochenen Grippe etwa acht Tage geschlossen war.
Baumaßnahmen
Bei größeren Bauvorhaben – es gab immerhin zwei Neubauten sowie einen Um- und Ausbau – musste natürlich immer entschieden werden, wie in dieser Zeit der Unterricht laufen sollte und wo die Schüler unterzubringen waren. Die ersten gründlichen Veränderungen am Gebäude erfolgten in den Jahren 1684 bis 1690. Das Schulhaus befand sich, da es im Wesentlichen noch dem alten Klostergebäude entsprach, in einem desolaten Zustand. Aus Kostengründen wurde nicht nach Ersatzräumen für den Unterricht und die Unterbringung der Knaben gesucht, die Schule wurde kurzerhand vom 1. Oktober 1684 bis zum 16. April 1686 geschlossen. Ein großer Teil der Schüler ging deswegen 1684 ab, zwei von ihnen setzten den Unterricht an den Fürstenschulen in Meißen bzw. Pforta fort. Ein kleinerer Teil blieb – theoretisch – an der Schule, hatte also „unterrichtsfreie Zeit“ bis 1686, nur drei Jungen gingen vorübergehend an die Fürstenschule in Meißen. Addiert man die Zeit aller Schulschließungen in den ersten 150 Jahren, so ergibt sich die Summe von vier Jahren und vier Wochen.
Ein völlig neues Schulhaus – mit Ausnahme des Straßenflügels – entstand 1820 bis 1828. In dieser Zeit wurde der Unterricht im Döringschen Freihaus, dem späteren Seminargebäude, erteilt. Unterrichtsausfall gab es also nicht, wohl aber hatten die Schüler unter einer in der Geschichte der Schule einmaligen Wanzenplage zu leiden. Beim Bau des dritten Schulgebäudes von 1887 bis 1891 befanden sich Unterkünfte und Klassenräume anfangs im alten Restgebäude und später im fertiggestellten Nordteil des neuen Hauses.
Hochwasser
Obwohl ab 1550, dem Gründungsjahr der Schule, jedes größere Hochwasser auch das Schulgebäude in Mitleidenschaft zog, waren die Auswirkungen relativ gering, denn all das, was heute besonders empfindlich ist, existierte ja viele Jahrhunderte nicht: elektrische Anlagen, Kommunikationstechnik, Klingelanlage, komplizierte Abwasseranlage, moderne Unterrichtsmittel, Parkettfußboden, Stahlrohrmöbel, Pressspanplatten usw. So genügten bei Hochwasser meist Umziehen in eine höhere Etage, Selbststudium in der Schule und schnelles Reinigen nach dem Ablaufen des Wassers. Es wird berichtet, dass nach dem Zurückgehen des Hochwassers am 1. Juli 1771, 17.30 Uhr, sofort mit der Reinigung des Speisesaals begonnen und 18.00 Uhr „wie gewöhnlich gespeist“ wurde. Ideale Bedingungen gegen zu erwartende Hochwasser wurden mit dem neuen Gebäude von 1891 geschaffen.
In der Tat blieb das Hochparterre der Schule über 100 Jahre vom Wasser verschont. Allerdings richtete es oft im Keller einigen Schaden an, und der notwendige Ausbau der Umwälzpumpe bewirkte, dass die Schule nicht mehr geheizt werden konnte, so dass im Winter der Unterricht –meist für relativ kurze Zeit – ausfiel. Dass die Hochwasser von 2002 und 2013 nicht mit den davorliegenden gleichgesetzt werden können, versteht sich von selbst. Der ehemalige Flussmeister Siegfried Nowak bezeichnete sie als „Sintfluten“ und entsprechend waren ihre Auswirkungen für das ganze Land, für Grimma und für das Gymnasium St. Augustin.
Volker Beyrich