Der Schriftsteller und Journalist Ferdinand Stolle ist Verfasser zahlreicher Romane, Erzählungen und Gedichte. Als Redakteur verschiedener Publikationen wirkt er mehr als 20 Jahre in Grimma.
© Museum GöschenhausFerdinand Ludwig Anders wird am 28. September 1806 in Dresden als Sohn eines kurfürstlichen Postillions geboren. Nachdem die Eltern kurz hintereinander sterben – die Mutter 1810, der Vater 1813 – wird der Junge 1814 vom kinderlosen Schwager der Mutter, dem Dresdener „Amtscassirer“ Christian Samuel Stolle adoptiert. Diesen Nachnamen wird Ferdinand später annehmen.
Nach Besuch der Dresdener Kreuzschule beginnt er ab 1827 in Leipzig das Studium der Rechtswissenschaften, das er 1832 abbricht, um von nun mit literarischen und journalistischen Arbeiten seinen Unterhalt zu verdienen. Er wird noch im selben Jahr Redakteur der politisch hoch brisanten „Sachsenzeitung. Blätter zur Besprechung des Gemeinwohls, zur Erörterung über Gesetzgebung, Staats- und Kirchenverfassung, sowie zur Unterhaltung und Mittheilung über Literatur, Kunst und Industrie“. Die Zeitung kämpft von Beginn an mit der Zensur und wird letztlich 1834 von den Behörden verboten. Stolle ist nun hoch verschuldet, zugleich droht ihm die Ausweisung aus Leipzig. Glücklicherweise macht Carl Ferdinand Philippi – Besitzer des Verlags-Comptoirs und der ehemaligen Göschendruckerei in Grimma – Stolle das rettende Angebot: Stolle soll für Philippi in Grimma arbeiten.
Ferdinand Stolle denkt nicht lange nach und nutzt diese Gelegenheit, um 1834 an die Mulde zu kommen, er schreibt: „Der Gedanke, vollkommen sorgenfrei in dem reizend zwischen Waldbergen, am Ufer der sanftblauen Mulde gelegenen Landstädtchen zu verleben, hatte etwas ungemein Anziehendes für mich. Ich sehnte mich aus dem wenig erquicklichen Dasein in Leipzig heraus und gab daher Philippi meine Zusage.“
Als Redakteur betreut Stolle von nun an mehrere Publikationen, die in Grimma hergestellt und verlegt werden. Das hindert den guten Beobachter Stolle aber nicht daran, seine neue Heimat genau zu beleuchten und zu hinterfragen. 1839 erscheint als Resultat solcher Beobachtungen der Zeitroman „Deutsche Pickwickier. Komischer Roman aus den Jahren 1830–32“ in drei Bänden. Hier zeichnet Stolle kritisch und satirisch die kleinstädtisch-provinziellen Verhältnisse in der Stadt „Neukirchen“ nach – die fiktive Stadt „Neukirchen“ hat ein reales Vorbild: Grimma.
Der Dorfbarbier© Musuem Göschenhaus1844 wird Stolle Ideengeber der bei Philippi gegründeten humoristischen Zeitschrift „Der Dorf-Barbier. Ein Blatt für gemüthliche Leute“ (1844- 1930; ab 1851 „Illustrirter Dorfbarbier“), die besonders durch die Texte Stolles weit über Sachsens Grenzen bekannt wird. Um bei politischen Äußerungen auf der sicheren Seite zu sein, hat u.a. „General von Pulverrauch“ seinen Auftritt, eines der vielen Pseudonyme, hinter denen sich Stolle ver- bergen kann. Nach dem Tod Philippis wird der „Dorf-Barbier“ 1854 zum Verlag von Ernst Keil wechseln und von Stolle weiterhin als Redakteur begleitet.
1853 gründet Ernst Keil mit Stolle als Redakteur die Familienzeitschrift „Die Gartenlaube“ (1853- 1937; von 1938 bis 1944 als „Die neue Gartenlaube“), die als (anfänglich) liberale Zeitschrift sehr beliebt ist und zum ersten Massenblatt Deutschlands wird. Bis 1862 ist Stolle nicht nur Redakteur, sondern auch „Herausgeber“: Der Verleger Ernst Keil hat seine „bürgerlichen Ehrenrechte“ verloren, da er gegen die Pressegesetzgebung verstoßen hat und darf nicht als Herausgeber fungieren. Stolle trägt somit vordergründig die alleinige Verantwortung für die Publikation. 1855 verlässt Stolle Grimma und zieht zurück nach Dresden.
Bis 1863 wirkt er noch als Redakteur und Schriftsteller, hat dann aber genug davon, da er mittlerweile finanziell abgesichert ist. In dieser Zeit erscheint bereits ab 1853 bis 1865 eine 30-bändige Ausgabe seiner Schriften als „Volks- und Familien-Ausgabe“ bei Ernst Keil, die 1865 gleich mit einer 12-bändigen Fortsetzung als „Neue Folge“ durch den Verlag August Schröter in Plauen ergänzt wird. Nicht jeder Autor dieser Zeit kann auf so große Beliebtheit beim Publikum setzen.
Mit 66 Jahren, am 29. September 1872, stirbt Ferdinand Stolle in Dresden.
Heute ist Ferdinand Stolle sicherlich nicht mehr so berühmt wie einst, doch in Grimma, trotz seiner spitzen Zunge angesichts der Zustände in „Neukirchen“, kennt fast jeder diesen Vers, den er in „seinem“ Dorf-Barbier im Juni 1848 veröffentlichte, die heimliche Grimma-Hymne:
Im Thale, wo die Mulde fließt,
Da steht ein Städtchen fein,
Das Niemand wieder gern vergißt,
Der einmal da kehrt ein.
Ihr Alle, Alle kennt es wohl
Und seid ihm zugethan –
Drum schenkt mir All' die Gläser voll,
Und stoßt auf Grimma! an.
Noch weitere Spuren finden sich heute in Grimma, die an Ferdinand Stolle erinnern. Da ist zunächst der 1895 vom Grimmaer Verschönerungsverein gestiftete Sandsteinobelisk für Stolle im Stadtwald.
Eine Inschrift verrät: „Diesem Denkmale gegenüber wohnte und wirkte Dr. Ferdinand Stolle, Schriftsteller und Menschenfreund, *1806. † 1872.“ Die Einweihungsrede am 1. Juni 1895 hielt der gelernte Schriftsetzer und spätere Lehrer Friedrich Anton Püschmann (1829-1914), dessen Manuskript als auch ein Druck sich heute im Museum Göschenhaus befinden. Gegenüber, auf der alten Stadtmauer – nunmehr etwas angehoben auf der Hochwasserschutzanlage – sieht man das „Stolle-Häuschen“, wie es liebevoll genannt wird, der Name „Stolle“ prangt bis heute im Giebeldreieck des kleinen Hauses. Doch weder Stolles Aufenthalt, noch die in Grimma verbreitete Legende, hier habe Stolle mit Ernst Keil die Idee für die „Gartenlaube“ gehabt, stimmen: Das Mauerhäuschen ist erst 1925 gebaut worden.
Das eigentliche Stolle-Haus befindet sich jenseits der Stadtmauer und des Mauerhäuschens in der Paul-Gerhardt-Straße, wo Ferdinand Stolle von 1848 bis zu seinem Weggang aus Grimma 1855 wohnt.