Als der 24-jährige Hans Pfeiffer 1949 als Deutsch- und Geschichtslehrer an die Landesschule Grimma (heute Gymnasium St. Augustin) kam, merkten wir Schüler bald, dass er ein besonderer Mensch war. Uns gefiel nicht nur seine jugendliche Erscheinung und sein vornehm-zurückhaltendes Auftreten, sondern vor allem sein pädagogischer Eifer, uns mit klugen Argumenten für Sachen zu begeistern, die er selbst schätzte. Doch ein Fanatiker war er nicht, denn Fanatiker und Ignoranten hielt er für gefährliche Menschen. Entsprechend den Idealen der Aufklärung wollte er seine Schüler zu vernünftig denkenden, kritischen und toleranten Persönlichkeiten erziehen. Er schärfte unseren Blick für die wichtigen Dinge des Lebens und lehrte uns unterscheiden zwischen Echtem und Falschem, Wahrem und Verlogenem, Wertvollem und Minderwertigem. Und dann beeindruckte uns auch sein Talent zum Vortragen und seine Vorliebe für Dramatisches. Mit Erfolg leitete er die Laienspielgruppe der Schule, mit der er zur 400-Jahrfeier der Landesschule 1950 das "Gaukelspiel von Macht und Tod" von Kurt Wassermann einstudierte und selbst die Rolle des Gauklers übernahm. An zwei Deutschstunden bei Hans Pfeiffer erinnere ich mich heute noch genau. Da er hin und wieder nützliches Wissen auch über den Lehrstoff hinaus vermittelte, machte er uns unter anderem mit zwei Persönlichkeiten des deutschen Geisteslebens bekannt: Kurt Tucholsky und Victor Klemperer. Eines Tages brachte er ein Buch mit, auf dessen olivgrünem Schutzumschlag GRUSS NACH VORN stand. Es war eine Auswahl aus Kurt Tucholskys Lyrik und Prosa, die 1948 im Rowohlt Verlag erschienen und die erste Tucholsky-Ausgabe nach dem Krieg war, herausgegeben von Erich Kästner. Nun stellte uns Hans Pfeiffer diesen schärfsten Kritiker der Weimarer Republik und des auf- kommenden Nationalsozialismus mit einigen seiner bekanntesten Gedichte und Prosatexte vor. Dass seitdem Tucholsky zu meinen bevorzugten Schriftstellern gehört, ist Hans Pfeiffers Deutschstunde zu verdanken. Ein andermal schrieb Hans Pfeiffer die Buchstaben LTI ganz groß an die Tafel und darunter: Lingua Tertii Imperii. Dann zeigte er ein hellbraunes Buch mit diesen drei Buchstaben und dem Untertitel: „Notizbuch eines Philologen". Der Verfasser, der Romanist Victor Klemperer, hatte die Nazidiktatur als Wissenschaftler mit Berufsverbot überlebt und in Tagebüchern unter anderem die Sprache der Nazis kritisch unter die Lupe genommen. So war sein Buch "LTI" entstanden, welches der Aufbau- Verlag 1947 herausgebracht hatte und aus dem Hans Pfeiffer Ausschnitte vorlas, die mich sofort für diesen Autor begeisterten. Als Hans Pfeiffer 1952 unsere Schule verließ, um in Leipzig Philosophie zu studieren, haben wir Schüler das sehr bedauert, aber damit be- gann für ihn der Aufstieg zu einem der bekanntesten Schriftsteller der DDR und Gesamtdeutschlands. Schon als Lehrer veröffentlichte Hans Pfeiffer erste literari- sche Arbeiten. Als freier Schriftsteller in Leipzig ent- standen in den folgenden Jahrzehnten Erzählungen ("Die Höhle von Babie Doly"), biographisch-historische Romane ("Thomas Müntzer", "Scharnhorst") und meh- rere Dramen ("Nachtlogis", "Laternenfest", "Zwei Ärzte"). Sein bekanntestes Drama, "Laternenfest", wurde am 1. September 1957, dem Weltfriedenstag, in einer Ringuraufführung gleichzeitig an neun Bühnen der DDR gespielt und war mit 554 Aufführungen auf 22 Bühnen 1958 das meistgespielte Stück in Deutschland. Auch als Autor von authentischen Kriminalfällen und gerichts- medizinischen Tatsachenberichten ("Die Sprache der Toten"), die ein großes Publikum fanden, machte sich Hans Pfeiffer einen Namen. Von 1965 an war er Dozent am Leipziger Institut für Literatur, dessen Direktor er von 1985 bis 1990 war und dessen Abwicklung ihn sehr schmerzte. Hans Pfeiffers letzte Lebensjahre waren überschattet von privaten Sorgen und Krankheit. Nach schwerem Leiden ist er am 27. September 1998 mit 73 Jahren gestorben. Über seine Grimmaer Zeit hatte er mir 1990 geschrieben: "Es waren damals schöne Jahre der Hoffnung und guter menschlicher Beziehungen."
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Erinnerung an Hans Pfeiffer: Lehrer und Schriftsteller (1925-1998)
Erinnerung an Hans Pfeiffer: Lehrer und Schriftsteller (1925-1998)
Ein Beitrag von Eberhard Zänker
Eigentlich wollte der am 22. Februar 1925 in Schweidnitz (Swidnica) geborene Hans Pfeiffer Medizin studieren, denn nach dem Abitur 1943 war er zwei Jahre Sanitätssoldat. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges landete er aber in Sachsen in einem Schnellkurs für Neulehrer und war danach Lehrer in Hohburg bei Wurzen und schließlich in Grimma.
Meldung vom 21.09.2023