Zu den aufwändigsten und prächtigsten Gebäuden Grimmas gehört das mit der Nummer 2 in der Hohnstädter Straße. Mit gutem Willen erkennen wir oberhalb der repräsentativen Eingangstür „Anno domini“ (im Jahre des Herrn) und die Jahreszahl 1899. Vorbild für den aufwändigen Bau waren die Paläste der florentinischen Renaissance, die Stadt war lange Zeit das europäische Finanzzentrum. Bemerkenswert ist die Gliederung des Baus mit der kostbaren Sandsteinfassade: über dem sehr hohen Kellergeschoss mit dem Tresorraum “erhebt sich“ das Erdgeschoss mit den großen Rustica-Quadern. Nachdem die Bankkunden im separaten Treppenhause eine sehr repräsentative Treppe beschrittet hatten, gelangten sie in den Empfangsraum, mit vier betont hohen Rundbögen-Fenstern verfehlt er nicht den gewollten soliden und Vertrauen erweckenden Eindruck. Die Geschosshöhe der von da an glatten Fassade des Verwaltungsgeschosses darüber fällt deutlich bescheidener aus. Die ebenso vier Fenster des Dachgeschosses sind wesentlich kleiner - dort wohnte vielleicht der Hausmeister. Aber zwischen den Fenstern sehen wir dafür die Allegorien der vier Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde. Über dem Eingang und unter dem Balkon darüber lässt sich im Schlussstein des Zugangs ein idealisiertes Porträt erkennen: Ein leer, aber heroisch blickender Mann mit einem geflügelten Helm oder Hut, umgeben von seinen Attributen und Insignien: rechts und links ein Merkurstab mit je zwei Schlangen. Kein Zweifel, es handelt sich um den griechischen Gott Hermes und den römischen Merkur. Der Zeit und dem deutschen Verständnis entsprechend gehörten Eicheln und Eichenlaub als Dekoration mit dazu. Es handelt sich um den griechischen Götterbote und Meisterdieb. Schon aus der Wiege heraus vollbrachte er der Sage nach die unglaublichsten Diebstähle und soll es verstanden habe, sich aus allem perfekt daraus herauszulügen. Die übernommene römische Mythologie hat daraus Merkur, den Gott des Handels und des Betruges gemacht! Die Grenzen waren auch für sie fließend, der Name wird von „merx“ = Ware abgeleitet. Angebot und Nachfrage entscheiden über die Preise. Ohne das Ausnutzen von Ungleichheiten, Lücken und Mängeln gäbe es keinen Handel, dabei entscheiden nicht immer die Anbieter über die Preise, da es zweiseitige Geschäfte sind. Über den Handel werden sich immer die Gemüter erhitzen, je nachdem wo der Einzelne steht. Dabei wollen alle Handelnden immer nur „das Beste“ von und für die Käufer – nämlich ihr Geld. Durch den Handel wird - nicht uneigennützig - das Leben der Käufer oft ermöglicht, wirklich erleichternd, auch verbessernd und verschönernd genannt. Mitunter werden Bedürfnisse geweckt – damit die befriedigt werden können. Es wird so gehandelt, dass dadurch die Reichen reicher werden. Hinter denen steht eine göttliche Macht, die des „St. Mammon“. Man handelt vor allem mit allem Nötigen, Nützlichen und Brauchbaren.
Unter den Augen dieses Merkurs wurde in dem Haus innerhalb von 25 Jahren zweimal mit Währungen gewechselt: es ging von 1990 DM in M und 2002 die in €! Beide Male wurde uns sehr viel versprochen und versprachen wir uns sehr viel, einmal sogar „blühende Landschaften“. Der Grimmaer Merkur blickt mit seinem versteinerten Blick immer in eine ungewisse Ferne und sieht über alles hinweg – kann oder könnte er alles übersehen? Er übersah, was hinter ihm im Bankhaus von verschiedenen Bankkunden und Institutionen abgewickelt wurde. Lassen wir den Unschuldigen steinern – beständig weiter geradeaus blicken!
Rudolf Priemer
Vorsitzender Geschichts- und Altertumsverein